zur Personzum BuchJedes Jahr sprechen zehn Lyrikkenner:innen Empfehlungen für zehn deutschsprachige und zehn ins Deutsche übersetzte Gedichtbände aus. Drei der Bände werden an diesem Abend vorgestellt:
Abdalrahman Alqalaq (geboren 1997 in Alyarmouk, einem Flüchtlingslager am Rande von Damaskus), palästinensischer Dichter und Performer, veröffentlichte im letzten Jahr den Band »Übergangsritus« (aus dem Arabischen übersetzt von Günther Orth, Leila Chammaa und Sandra Hetzl), der von Sam Zamrik für die Empfehlungsliste ausgewählt wurde. Der Band enthält Gedichte und Prosa, die nach Zugehörigkeit suchen zwischen Heimat und Exil. Dort ist das ungelebte Leben, das mit der Flucht zurückgelassen wurde, und hier das gegenwärtige Leben im Exil, das von Einsamkeit und Trauer geprägt ist, vom ›Exilsyndrom‹, wie es einmal heißt. »Wo man geboren wurde, gehört einem der eigene Schatten / Der Schatten von uns Migranten aber wird verschluckt / wir taumeln über den Boden / bis wir ein altes Ich töten und ein neues ersteht«.
Karin Fellners (geboren 1970 in München) neuer Lyrikband »Polle und Fu« (parasitenpresse 2024), empfohlen von Christian Metz, kommt auf den ersten Blick geradezu beschwingt daher: Das Paar Polle und Fu scheint vor allem durch eine stete Veränderlichkeit gekennzeichnet, durch »stoffwechselnde Namen, die sich mal so, mal so aneinander klammern, stoßen, freuen«. Hier wird das »Fest des Fluiden« gefeiert, die »sanfte Scharfsicht des Verfehlens«. Mit raffiniert umgeschichteten Lauten, verdichteten Versen und viel Sprachwitz greifen die Gedichte in unsere gewohnten Denkbewegungen und entlarven routinierte Sprechweisen, die für den Umgang mit einer (auch bedrohlichen) Gegenwart unzureichend scheinen: »Warten Sie nicht länger, / gegenwarten Sie lieber!«
Eva Maria Leuenbergers (geboren 1991 in Bern) dritter Band trägt den Titel »die spinne« (Literaturverlag Droschl 2024) und wurde für die Empfehlungsliste ausgewählt von Kerstin Preiwuß. Es handelt es sich hierbei um ein durchkomponiertes Langgedicht, das eine beunruhigende Szene beschreibt: Das Flügchen, eine nicht näher definierts Du, liegt in einem Zimmer, »auf dieser matratze, / unter weißem tuch, / mit dem rücken, / flügellos« und an der Decke sitzt eine Spinne, »sie ist groß, und alt, / und vielleicht / beinahe schwarz«. In einer sprachlich reduzierten und präzisen Allegorie, die sich möglicherweise an den Schweizer Klassiker Die schwarze Spinne von Jeremias Gotthelf anlehnt, wird das existentielle Verderben der Naturzerstörung beschrieben, dem die Menschheit schuldig und ohnmächtig zugleich gegenübersteht.
In Lesung & Gespräch: Abdalrahman Alqalaq | Karin Fellner | Eva Maria Leuenberger
Moderation: Beate Tröger