Leseprobe
Erdmann und Marie,
ein Nachtrag zu den Legenden von Rübezahl
»Zweiter Abschnitt: Ludlams Höhle«
(...)
Als des Abends nach einem froh durchtanzten und durchspielten Tage, die Alten beim starken Bier saßen, und sich gütlich taten, und auch die Jungen Wohlstands wegen, ihrer Lust ein wenig Anstand gaben, um dem Gespräch der Greise zu-zuhören, begann einer unter ihnen folgendermaßen. Laßt uns auf das Wohlsein der Patronin des jungen Ehepaars trinken: Hochgehalten die Becher! Es lebe Mutter Ludlam in ihrer Höhle! - Die meisten von der Gesellschaft wußten genau, wem die ausgebrachte Gesundheit galt, und tranken freudig mit, aber der Bräutigam, der aus einer weit entferntern Gegend nach Surry gekommen war, trank zwar, doch fragte er nach ausgeleertem Becher; guter Vater, wem zu Ehren habe ich getrunken, und wer ist Mutter Ludlam, die ihr meine Patronin nennt?
Junger Mann, versetzte der Alte, aus Mutter Ludlams geweihtem Kessel gegessen zu haben, und nach Mitternacht den Kehraus um denselben zu tanzen, ohne zu wissen, was das für ein Ding sei, würde euch übel anstehen, und ihr sollt die ganze Sache erfahren, wovon ihr übrigens halten könnt was ihr wollt, denn leider wird sie heut zu Tage von der leichtsinnigen Jugend für ein Märlein gehalten; die Sache aber verhält sich so:
Drei Meilen von Farnham in der guten Grafschaft Surry, deren Kinder wir alle, euch ausgenommen, sind, liegt ein sandiger Hügel, der sich südwärts öffnet, und eine Höhle bildet, in welcher in der grauen Vorzeit ein Weib gewohnt haben soll, laut der Tradition von menschlichem Geschlecht, nur mit übernatürlicher Kenntnis ausgerüstet, aber, wie ich einst in einem- alten Buche las, nichts als ein auf eine gewisse Zeit in diese Gegend gebannter Geist, daselbst unter menschlicher Gestalt gewisse uns Sterblichen unbekannte Absichten auszuführen. Unsre Urväter haben dieses geheimnisvolle Wesen noch gesehen, seine Wohltaten genossen, und es Mutter Ludlam genannt, welches in der alten gotischen Mundart ohngefähr so viel geheißen haben mag, als Mutter Geberin, oder gebende Mutter. Der Name war gut gewählt, denn in der Tat war Geben des guten Geschöpfs tägliches Werk, sie gab so lang, bis sie nichts mehr zu geben hatte, oder bis der Undank, die Unbescheidenheit, oder die Ungenügsamkeit der Beschenkten sie ungeduldig machte. Sie gab das Geben auf, und weil sie die Erdbürger doch nicht ganz verlassen konnte oder wollte, so schränkte sie sich aufs Leihen ein. Bei ihr konnte man alles haben. Sie lieh gern, und ohne Interessen; sie schien sich mehr zu freuen, helfen zu können, als der, welcher ihre Hülfe bedurfte, aber prompt mußte man im Wiedergeben sein, und wenn der Termin, den jeder sich selbst, doch nur auf Tage, nicht auf Jahre setzen durfte, ohne Rückgabe verflossen war, so war sie schnell mit der Strafe hinterher, welche streng genug gewesen sein mag, ungeachtet wir weder mündliche noch schriftliche Nachricht haben, worin sie eigentlich bestanden hat. Sie soll viele auf diese Art emporgehoben haben, denn alles was aus ihren Händen kam, es mochte Gold oder Gerät sein, das brachte Segen, und machte dem Borger die Erstattung leicht. So soll der Erbauer der Waverly-Abtei, ein armer Pilger aus dem heiligen Lande, hinab in ihre Höhle gestiegen sein, und um Holz, Steine, und ein wenig Geld zu Erbauung einer Klause gebeten haben, da ist ihm das so viel worden, daß er es mit Pferden und Wagen hat hinwegfahren müssen! aus der kleinen Klause ist ein großes Kloster geworden, nur nach Verlauf von dreihundert Tagen, den Termin, den er sich selbst bestimmt- hatte, ist er im Stande gewesen, das Geborgte ohne seinen Schaden in Natura wieder zur Stelle zu schaffen. Die Art aber, wie man sich in diesem unterirdischen Leihhause ankündigte, war, wenn ihr ja alles wissen wollt, folgende: Um Mitternacht ging der Borger einsam, oder in Begleitung eines Kindes durch die weite Öffnung, welche damals an die zwanzig Fuß breit und zehen hoch gewesen sein soll, hinein, bis wo die Höhle sich nordwärts krümmt, daselbst fand er ein klares Bächlein, für welches Anton Waverly, der Erbauer jener Abtei, wo ihr eingesegnet worden seid, ein Marmorbecken hat machen lassen, sich darein zu ergießen, und Bäume darum für den Borger, sich von der mühsamen Fahrt zu erholen. Hier soll Mutter Ludlam oft sichtbar gesessen haben, eine freundliche Alte, ohne den gewöhnlichen Hexenblick. - Ließ sie sich aber auch nicht sehen, so hatte man weiter nichts zu tun, als dreimal um den Brunnen zu gehen, und zu sagen: Gute Mutter Ludlam, leihe mir dieses oder jenes, in so und so viel Tagen bringe ich es wieder. Wenn man sich denn sittig und langsam entfernte, so fand man am Morgen, denn der Weg mochte nicht vor Tages Anbruch geendigt werden, das Geforderte am Eingang der Höhle, wohin man es, wie schon gesagt, genau zur bestimmten Zeit und Stunde und in eigner Person wiederbringen mußte. Nun begab es sich einst, daß ein junger Mann, so wie ihr, Hochzeit machte, und ihm, weil er reich war, und viel Freunde hatte, mehr Gäste kamen, als er erwartet hatte. Im ganzen Dorfe war kein Kessel, der groß genug gewesen wär, die Brautsuppe darin zu kochen. Da höhnten ihn die losen Gesellen, und sprachen: Hochzeiter! steig hinab zur Leihfrau, und borge von ihr was du bedarfst; und er tat, wie sie ihm sagten, und ging hinab am Vorabend des Hochzeitfests, um seinen Mut zu zeigen, und bat; gute Mutter Ludlam, leihe mir einen Kessel zur Brautsuppe, aus welchem alle meine Gäste satt werden können, morgen um diese Zeit bringe ich ihn wieder. - Er erhielt was er suchte, und lief nach Hause, einige Knechte zu holen, ihm das ungeheure Ding, das ihr heute gesehen habt, heimholen zu helfen.
Man kochte darin, man aß, und wurde satt, jedermann behauptete, nie hätte eine Brühe köstlicher geschmeckt, als diese; auch fehlte es nicht an Großprahlereien des Bräutigams und schmeichlerischen Lobeserhebungen seiner Freunde wegen seines Muts, denn es war eine geraume Zeit vergangen, daß niemand gewagt hatte, ein Darlehn von der strengen Schuldfrau zu fordern, die etwa das letztemal einen bösen Bezahler übel gelohnt haben mochte.
Unter lärmender Freude ging der Tag hin, und Mitternacht kam heran, ohne daß der Borger daran dachte, was er versprochen habe, und daß der Schuldtermin nun verflossen sei. Er führte sein junges Weib heim, und beschied seine Gesellen auf den nächsten Tag zu neuer Freude. Ach diese Freude sollte in eine Totenklage verwandelt werden! Man fand des andern Morgens den jungen Ehemann tot, und sein Weib in einer totenähnlichen Ohnmacht auf ihrem Lager. Keine Hülfleistung konnte den ersten erwecken, und die andre wußte nichts zu sagen, als daß sie über einem fürchterlichen Traume, den sie vergessen habe, erwacht sei, ihren Mann, weil ihr ein Grausen angewandelt, habe wecken wollen, ihn tot gefunden habe, und dadurch in diesen Zustand geraten sei. - Bei reiflicher Überlegung entschied man, daß der jähe Tod des jungen Mannes nichts als Rache Mutter Ludlams wegen aus der Acht gelassenen Versprechens sein mußte. Man fand ihre Strenge sehr grausam und unvernünftig, und brachte ihr mit Fluchen ihren Kessel wieder, aber sie mochte nicht wiedernehmen, was ein Mensch mit seinem Leben erkaufen mußte, auch habe sie das Leihen seitdem gar aufgegeben. Der Kessel lag ein ganzes Jahr am Eingang ihrer Höhle, bis man ihn nach Waverly brachte, und die Stiftung machte, an welcher auch ihr heute Teil genommen habt, und welche, wenn ihr es etwa noch nicht wisset, nicht allein in unentgeltlicher Einsegnung und dem Darlehn des Kessels, sondern noch in einem Geschenk von drei Kronen besteht, welche euch diese Nacht beim Tanze um den kupfernen Kessel gereicht werden sollen.
Richard, mein Vater, ward hocherfreut über das tröstliche Ende der Geschichte, denn Geld hatte er wenig in den Händen, und die unvermutete Hochzeitsteuer kam ihm sehr gelegen. Ei so soll sie auch leben, rief er, und stürzte noch einen Becher aus, die gute Zauberin oder Gnome! auf euer Wohlsein, Mistreß Ludlam; wenn mir einmal das Borgen ankommt, so will ich eurem Leihhaus nicht vorübergehen. (...)